Interview mit der Bauernzeitung - Marianne, eine unserer Zeitschenkerinnen, erzählt ein Wenig über ihre Tätigkeit

21.04.2017 11:57

Bauernzeitung: Was hat Sie dazu bewogen, sich ehrenamtlich für den Verein "Zeit schenken" zu engagieren? Was hat Sie dazu motiviert und was motiviert Sie stets aufs Neue?



MARIANNE FRICK :

Als mir meine Tochter, die Obfrau und Mitgründerin des Vereines von der Idee erzählt hat, war ich begeistert. Ich selbst habe eine 89-jährige Mutter, die in der Steiermark lebt und wären da nicht all die Verwandten in der Nachbarschaft, die sich um sie kümmerten, müsste sie in einem Pflegeheim betreut werden, da ich, ihr einziges "Kind" ja seit fast 50 Jahren in Tirol lebe und mich deshalb nicht täglich um sie kümmern kann.


So wie meine Mutter, gibt es auch hier in Reutte viele alte Menschen, die so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben möchten. Die Angehörigen leben oft nicht hier oder sind selbst berufstätig und sind dankbar, wenn sie wissen, dass ihre Mutter, ihr Vater etwas Unterhaltung und Abwechslung hat.


Wie sieht Ihr jetziges Aufgabenfeld aus, wie darf ich mir Ihre Tätigkeit für den Verein vorstellen?


Im Moment besuche ich einmal in der Woche rund zwei Stunden lang eine Frau, deren Kinder weggezogen sind. Sie selbst ist nicht mehr mobil. Wir trinken Tee zusammen, spielen "Mensch ärgere dich nicht" und unterhalten uns über Gott und die Welt.


Wie häufig sind Sie im Einsatz?


Derzeit betätige ich mich einmal in der Woche zwei Stunden lang für den Verein, da eine Kollegin ausgefallen ist. Vorher haben wir uns wöchentlich abgewechselt. Es gibt auch einmal Tage, an denen es meiner "Zeitnehmerin" nicht so gut geht, dann bleibe ich nur eine Stunde.

Wie gelingt es Ihnen, sich immer wieder auf andere Menschen, mit ihren ganz unterschiedlichen Problemen einzustellen?


Ich selbst hatte es auch nicht immer leicht im Leben und kann mich deshalb gut in andere Menschen hineinversetzen. Ich kann zuhören und sie verstehen und mehr ist es meist auch nicht, was die Menschen von einem wollen.


Fällt es Ihnen schwer, nach dem Feierabend die Schicksale der Menschen hinter sich zu lassen?


Natürlich denkt man über manches auch zu Hause noch nach, aber man verarbeitet es doch anders und ein etwas distanzierter, als wenn es jemanden aus dem eigenen Famielienkreis betrifft. Außerdem gibt es in unserem Verein regelmäßige Treffen mit allen Ehrenamtlichen und den Vereinsvorständen bei dennen wir Probleme, sofern sie vorhanden sind, ansprechen und aufarbeiten können.


Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie in Ihrer Tätigkeit zu kämpfen bzw. worin bestehen die Herausforderungen?


Wenn man lange Zeit einen Menschen besucht, entwickelt sich natürlich eine Freundschaft. Schwierig ist es, wenn man sieht, wie so ein Mensch abbaut und man eigentlich hilflos dagegen ist.


Keine Bezahlung und die Freizeit opfern: Was gibt Ihnen die Arbeit beim Verein "Zeit schenken", was nehmen Sie für sich persönlich mit nach Hause?


Wenn die Kinder aus dem Haus sind und man selbst schon lange nicht mehr berufstätig ist, wenn der Partner nicht mehr lebt und die Enkelkinder auch nicht täglich bei der Oma herumsitzen wollen, dann fragt man sich schon manchmal, ob es "das jetzt war". Mir gibt diese ehrenamtliche Tätigkeit das Gefühl, dass ich gebraucht werde, dass ich eine wichtige Aufgabe habe. Wenn ich nach einem Besuch bei meiner älteren Dame nach Hause gehe und daran denke wie sie sich gefreut hat, beim "Mensch ärgere dich nicht" gewonnen zu haben, gibt mir das einfach ein warmes, gutes Gefühl.


Welche Situation ist Ihnen besonders nahe gegangen?


Wenn ein Mensch seine eigenen vier Wände verlassen muss, weil es zu Hause einfach nicht mehr geht und weiß, dass er niemals wieder zurückkehren wird. Das ist das schon ziemlich hart mitanzusehen.


Was war bisher Ihr schönster Gänsehaut-Moment?


Die Freude in den Gesichtern meiner SeniorInnen, wenn sie mir die Türe öffnen, ist jedes Mal ein Gänsehaut-Moment.


Wie ist es Ihrer Meinung nach um die Herzlichkeit in unserer Gesellschaft bzw. in unserer schnelllebigen Zeit bestellt?


Ich glaube nicht, dass es in der heutigen Zeit weniger Herzlichkeit als früher gibt. Das Problem ist einfach oft, dass man für sich selbst schon kaum mehr Zeit hat und dadurch natürlich auch noch weniger für andere.


Was würden Sie jemandem mit auf den Weg geben, der sich für eine ehrenamtliche Tätigkeit interessiert?


Ich denke, dass manche Menschen Berührungsängste haben und sich so eine Aufgabe vielleicht auch nicht zutrauen. Unsere Koordinatorin vom Verein "Zeit schenken" hat da ein sehr gutes Gespühr und weiß, wer zu wem passen könnte, außerdem begleitet sie die Ehrenamtlichen auch gerne das erste mal. Und wenn die Chemie passt, geht alles andere von ganz alleine.


Was würden Sie sich zukünftig für den Verein "Zeit schenken" wünschen?


Der Verein kann mittlerweile nur noch schwer alle Anfragen abdecken. Deshalb wünschte ich mir, dass möglichst Viele diesen Beitrag lesen, die noch etwas Zeit zur Verfügung haben und bei uns Mitglied werden.